ESEM-FEG: EINIGE APPLIKATIONSBEISPIELE IN DER BAUSTOFF-FORSCHUNG

УДК 691.55

B. Möser, J. Stark
Bauhaus-Universität, Weimar

1  Einleitung

Seit Beginn des Jahres 1997 verfügt das F. A. Finger-Institut für Baustoffkunde der Bauhaus-Universität Weimar über das erste kommerziell verfügbare hochauflösende Environmental Scanning Electron Microscope mit einer Field Emission Gun. Das Mi­kroskop kann sowohl im ESEM-Modus als auch als herkömmliches Hochvakuum-Rasterelektronenmikroskop (konventionelles REM) betrieben werden. Für beide Be­triebsarten wird ein Auflösungs­vermögen von besser 2 nm erreicht.

Dieses Gerät gestattet es, die Objekte vor dem Austrocknen bzw. der Dehydratation zu bewahren, so daß hochauflösende rasterelektronenmikroskopische und elektro­nenstrahlmikroanalytische Untersuchungen an Baustoffproben im originalen, unver­fälschten, umweltbelassenen Zustand durchgeführt werden können. Die bisherigen Untersuchungen zeigen, daß das ESEM-FEG geeignet ist, morpholo­gische, physi­kalische und ggf. auch chemische Veränderungen zu verfolgen. Die Reaktionsab­läufe können in-situ oder quasi-kontinuierlich verfolgt werden [1 — 4].

Die bisher mit dem konventionellen REM durchgeführten Untersuchungen basieren auf speziellen mehrstufigen Präparationsverfahren, die zeitlich und apparativ außer­ordentlich aufwendig sind. Hinzu kommt, daß die einzelnen Präparationsschritte “an­onym” erfolgen und so bei der Untersuchung der Proben keine Gewißheit darüber besteht, ob nach einer Kette von Präparationsschritten die “wahren” Objektstrukturen beobachtet und analysiert bzw. welche Objektveränderungen (Artefakte) präpara­tionsbedingt hervorgerufen werden. Weiterhin ist es mittels konventioneller Elektro­nenmikroskopie prinzipiell unmöglich, die Dynamik von Lösungs-, Kristal­lisations-, Umlagerungs- und Umordnungsprozessen, an denen fluide Medien beteiligt sind, in-situ zu verfolgen. Außerdem setzen in-situ-Untersuchungen unbeschichtete Proben voraus.

Da am ESEM mit verschiedenen Betriebsarten gearbeitet werden kann, können nun an ein und derselben Prä­paratstelle detaillierte Studien darüber betrieben werden, ob und wie sich wasserhaltige Präparate morpholo­gisch und chemisch durch die erforderlichen Präparationsschritte, die für die Untersuchung im konventionellen REM nötig sind, verändern. In den folgenden Abschnitten wird an einigen bei Baustoffun­tersuchungen häufig vorkommenden Präparaten gezeigt, wie Hochvakuum und Temperaturbelastung im Probenraum des REM oder der Bedampfungsapparatur und die leitfähige Beschichtung, Morphologie und chemische Zusammensetzung der Probe beeinflussen.

 2  Experimentelles

In der Wasserdampfatmosphäre des ESEM muß zur Abbildung der Probenoberflä­che mittels Sekundärelektronen ein spezieller GSE-Detektor (Gaseous Secondary Electron Detector) genutzt werden. Für den konventionellen Hochvakuum-REM-Be­trieb erfolgt die Detektion des Sekundärelektronensignals dagegen mit der traditionellen Scintillator-Photomultiplier-Kombination. Zur Bestimmung der chemischen Zu­sammensetzung wird die charakteristische Röntgenstrahlung genutzt und mit einem Energiedispersiven Röntgenspektrometer (EDX) gemessen. Die Temperatur der Probe kann während der Untersuchung von -20 bis 60 °C gekühlt oder erwärmt werden. Außerdem ist es möglich, die Probe im Mikroskop mit einem Mikromanipulator mechanisch zu bearbeiten und über einen Mikroinjektor mit Flüssigkeiten in Kontakt zu bringen (Bild 1 und 2).

Das auf diese Weise ausgerüstete ESEM-FEG erlaubt folgende Untersuchungsmög­lichkeiten:
— Es ist keine Beschichtung mit einem leitfähigen Film nötig.
— Alle Materialien können im Prinzip in dem Zustand, in dem sie vorgefunden wurden, untersucht werden.
— Die Abbildung feuchter und nasser bzw. gefrorener Proben ist möglich (Bilder 3 – 6).
— Das Verhalten von Flüssigkeiten kann in-situ beobachtet werden.
— Es ist weiterhin möglich, stark ausgasende und ölhaltige Materialien zu un­tersuchen.
— Benetzungsexperimente mit Wasser aus der übersättigten Dampfphase können durchgeführt werden, da der Druck in der Probenkammer bis auf 1330 Pa [10 Torr] erhöht werden kann (Bild 3 und 4).
— Um die Probe herum kann eine definierte Gasatmosphäre geschaffen wer­den.
— Aufgrund des höheren Auflösungsvermögens können morphologische Ver­ände­rungen im Bereich einiger Nanometer beobachtet werden.
— Mit der Feldemissionskathode können auch im Modus: ESEM-WET Abbil­dungen bei niedrigen An­regungsenergien bis 2,5 keV mit einer Vergröße­rung £ 20.000-fach an Proben mit einer kleinen mittleren Ordnungszahl  (Z < 13) erreicht werden.
— Das Gerät kann auch als konventionelles REM mit Feldemissionskathode betrieben werden und er­laubt so vergleichende Untersuchungen an ein und derselben Präparatstelle mit unterschiedlichen Betriebsarten.
— Die EDX-Analyse ist qualitativ und quantitativ ohne störenden Einfluß einer leitfähigen Beschichtung möglich.
— Da nahezu keine Kontamination der Probenoberfläche im ESEM-Modus auftritt, werden weder die hochauflösende Abbildung noch die Mikroanalyse durch dieses Phänomen gestört.

Außerdem kann das ESEM noch mit weiteren Optionen nachgerüstet werden, die das Einsatzgebiet nochmals stark erweitern.

Um beurteilen zu können, wie sich Präparation und Hochvakuum auf die stoffliche und morphologische Beschaffenheit der zu untersuchenden Probe auswirken, ist es zweckmäßig die gleiche Stelle der Probe unter den folgenden Bedingungen abzubil­den:
—  Modus ESEM-WET (ursprünglicher  Zustand),
— Modus low-kV, high-vac (Einfluß des Hochvakuums [high-vac], die Abbildung er­folgt an der unbeschichteten Probe bei kleiner Anregungsspannung [low-kV]) und
— Modus high-kV, high-vac (Abbildung wie im konventionellen REM).

3. Untersuchungen

Bei der Auswertung und Interpretation von Gefügeaufnahmen und EDX-Analysen stand der Anwender bei der Nutzung der bisherigen traditionellen elektronenmi­kro­skopischen Unter­suchungsmethoden vor der schwierigen Aufgabe zu beurteilen, welchen Einfluß das Hochva­kuum im Objektraum bzw. die erforderlichen Präparati­ons­schritte auf das Gefüge und die einzelnen Phasen haben. Da die Fragen zu die­ser Problematik bisher nicht eindeutig beantwortet werden konnten, wurden diese Einflüsse oftmals ignoriert, Vermutungen über mögliche Auswirkungen geäußert [5, 6] oder falsch interpretiert. Erst durch die Anwendung der ESEM-Technologie mit der Möglichkeit des direkten Verglei­chs vom ursprünglichen zum präparierten Zustand wurde es möglich, eindeutige Aussagen zu treffen.

3.1 Das Verhalten der Präparate im Hochvakuum — Gefügeveränderungen imµm-Bereich

Gefügeveränderungen, die allein durch das Hochvakuum im Objektraum des Elek­tronenmikroskops hervorgerufen werden, lassen sich durch den Vergleich der Ab­bildungen im Modus ESEM-WET mit low-kV, high-vac beurteilen. Der Einfluß des Hochvakuums auf das Gefüge ist schon bei vergleichsweise niedriger Vergrößerung (< 10.000-fach) deutlich zu sehen und soll an drei Beispielen kurz gezeigt werden.

3.1.1. Gefüge eines ungeschädigten Betonprüfkörpers

Beton besitzt ein mehrphasiges heterogenes Gefüge mit Komponenten, die sehr unterschiedlich auf Vakuumtrocknung reagieren. Außerdem wird während der Hy­dratation des Zements Wasser chemisch, physikalisch adsorptiv und in freier Form in den Kapillarporen und Hohlräumen gebunden. Wird dieses System im Hochvakuum getrocknet, so wird durch Verdunsten des Wasser aus den Kapillaren auf die Kapil­larwände eine Zugkraft ausgeübt, die zur Trockenschwindung führt. Weiterhin wird das adsorptiv angelagerte Wasser und zum Teil auch das chemisch gebundene Wasser aus den Hydratationsprodukten (siehe 3.1.3 Ettringit) ausgetrieben. Diese Prozesse sind mit einer Kontraktion der Zementsteinmatrix verbunden, so daß inner­halb des Zementsteins neue Risse entstehen bzw. vorhandene Risse aufgeweitet werden. Der Ver­gleich von Bild 7 mit Bild 8 macht deutlich, daß schon eine Hochva­kuumexposition von 5 Minuten einen ursprünglich vorhandenen Riß mit einer Spalt­breite von 320 nm auf 1130 nm aufweitet. Wie die Untersuchungen weiterhin belegen, ist die Rißbildung beson­ders stark im Kontaktbereich zwischen der Matrix und den inerten Zuschlägen ausgeprägt (Randspaltbildung), d.h. Aussagen über den Haftverbund zwischen Zementstein und Zuschlag, die mit dem konventionellen REM gewonnen wurden, sind mit Vorsicht zu betrachten.

3.1.2. Gefüge eines durch die Alkali-Kieselsäure-Reaktion geschädigten Betonprüf­körpers

Die betonschädigende Alkali-Kieselsäure-Reaktion (AKR), die sich durch Rißbildung im Gefüge und durch kraterförmige Absprengungen auf der Oberfläche äußert, kann die Dauerhaftigkeit des Betons stark beeinträchtigen. Im konventionellen REM zeigen sich die Reaktionsprodukte der AKR als gelartige kolloidale bis mikrokristalline Schichten aus den Elementen O, Na, Si, K und Ca in unterschiedlichen Konzentra­tionen. Weiterhin werden in den Reaktionsprodukten der AKR die typischen Netz­risse beobachtet, die häufig pauschal auf die Trocknung während der Präparation für das konventionelle REM zurückgeführt wurden [5]. Zur Klärung der Frage, inwieweit sich das Alkalisilicat durch die Präparation wirklich verändert hat, können die Bilder 9 – 12 herangezogen werden. Daraus läßt sich folgendes ableiten: Das Alkalisilicat weist auch im ursprünglichen Zustand Netzrisse mit Rißbreiten bis zu 7,2 µm auf (Bild 9). Auf diesen gelartigen Schichten und in den Rissen sind Calcite auskristalli­siert. Demnach sind Risse auch im Originalgefüge vorhanden, die sich nach und nach mit Calcit gefüllt haben (Bild 9). Bei Abbildung im Modus low-kV, high-vac ist nach 20 Minuten im Hochvakuum eine Rißverbreiterung von 7,2 auf 11,7 µm und nach 20 Stunden auf 16,7 µm festzustellen (Bild 10). Die durch die Trocknung er­folgte Rißdehnung hat zur Folge, daß die im ursprünglichem Riß auskristallisierten Calciumcarbonatkristalle entlang der Rißflanken abreißen. Außerdem geht aus dem Vergleich der Bilder 11 und 12 hervor, daß neue Risse im Alkalisilicatgel entstanden sind, während die Spaltbreite schon vorhandener Risse konstant bleibt. In einphasi­gen amorphen und kryptokristallinen Gefügen, die durch Trocknung schwinden, bil­det sich auf Grund des Fehlens einer Vorzugsrichtung eine netz- bis schollenartige Rißstruktur aus.

3.1.3. Gefüge eines durch die sekundäre Ettringitbildung geschädigten Betonprüf­körpers

Treibschäden im Beton, z. B. durch Ettringitbildung, sind im mikroskopischen Bild an starken Rißbildungen in der Zementsteinmatrix, der Ausbildung eines Randspaltes in der Kontaktzone zwischen Zuschlag und Matrix sowie an Ettringitbildung in vorhan­denen und neu entstandenen Hohlräumen zu erkennen. Das dabei entstehende Ettringitgefüge, das aus dicht miteinander entlang der c-Achse verwachsenen Kri­stallen besteht, zeigt im konventionellen REM eine deutliche Rißbildung. Diese Risse sind jedoch erst durch Einwirkung des Hochvakuums im Objektraum des REM ent­standen, wie ein Vergleich des im Modus ESEM-WET (Bild 13) und danach unter Hochvakuumbedingungen (Bild 14) aufgenommenen Gefügequerschnitts im Bereich eines vollständig mit Ettringit ausgefüllten 8,8 µm breiten Randspaltes zwischen Ze­mentsteinmatrix und Quarzkorn zeigt. Die Rißbildung erfolgt in diesem einphasigen Gefüge entlang der Hauptwachstumsachse der Ettringitkristalle. Die Schrumpfung des gesamten Ettringitgefüges im Randspalt bewirkt weiterhin eine Rißbildung im Kontaktbereich Ettringit-Matrix und Ettringit-Zuschlag. Die gleichzeitige Untersuchung mittels EDX-Spektrometer zeigt anhand des Sauerstoffpeaks, daß sich der Was­sergehalt der Ettringitkristalle unter den Vakuumbedingungen im Probenraum des konventionellen REM bzw. während der Bedampfung von 32 auf 12 Mol vermindert. Bild 15 zeigt das Energiespektrum von Ettringit mit 32 Mol H2O, durch Reaktion von C3A mit a-Halbhydrat und Wasser entstanden und im Modus ESEM-WET analysiert. Nach Einwirkung des Hochvakuums ergibt sich das in Bild 16 dargestellte Spektrum. Der Vergleich mit Bild 15 zeigt deutlich, daß sich die Peakhöhe der Sauerstoffstrah­lung stark verringert hat, und statt 63,4 M.% wird nur noch ein Sauerstoffgehalt von 54,2 M.% bestimmt, der dem theoretischen Gehalt von 53,7 M.% für 12 Mol Wasser sehr nahe kommt. Daß der Ettringit beim Trocknen etwa 20 Mol Kristallwasser ver­liert, konnte auch durch die Aufnahme von Wasserdampf-Sorptionsisothermen bei 20 °C mit einer gravimetrischen Sorptionsapparatur nachgewiesen werden [7].

3.2. Verhalten der Präparate beim Aufbringen einer elektrisch leitenden Beschich­tung — Phasenveränderungen in nm Bereich

Die bei der Hydratation von C3S und C2S gebildeten C-S-H-Phasen, die für die Ab­bildung im konventionellen REM mit einer leitfähigen Kohlenstoffschicht versehen wurden, zeigen eine stumpfnadelige Form mit einem Durchmesser zwischen 100 und 130 nm in sphärolithischer Anordnung. Im Vergleich dazu erscheinen die im Modus ESEM-WET abgebildeten C-S-H-Phasen bei fortschreitender Hydratationsdauer in langer spitznadeliger Form. Der Hydratationsfortschritt zeigt sich hauptsächlich im eindimensionalen Wachstum, wobei die C-S-H-Phasen eine Länge bis 1,2 µm, bei konstantem Durchmesser von 40 — 60 nm, erreichen können. Der Durchmesser der Faserspitzen liegt bei 10 nm [1, 8].

Am Beispiel von 11-Å Tobermorit (C5S6H5) läßt sich die Beeinflussung der Morpholo­gie, die durch das Auf­bringen einer elektrisch leitenden Beschichtung hervorgerufen wird, deutlich zeigen, da durch vergleichende Untersuchungen am ESEM nachge­wiesen werden konnte, daß die hydrothermal hergestellten C-S-H-Phasen im Hoch­vakuum stabil sind. Aus diesem Grund können die Veränderungen des Präparats unter Einwirkung der Wärmestrahlung während der Beschichtung und der Einfluß der Kohlenstoffaufdampf- bzw. Silbersputterschicht (Bedampfungsartefakte) eindeutig verfolgt werden.

Bild 17 zeigt den Habitus der unter hydrothermalen Bedingungen auf ein Quarzkorn aufgewachsenen ca. 5 µm langen schwertförmigen Tobermoritkristalle im Hochva­kuum. Die Detailansicht in Bild 18, die als Vergleich herangezogen wurde, zeigt die sehr flachen nur 20 nm dicken Objekte mit Kristallspitzen von 10 nm. Die Tobermorit­spitzen sind somit mit den durch Hydratation von C3S und C2S gebildeten C-S-H-Phasen vergleichbar. Der Einfluß der Widerstandsbedampfung mit einer Kohlenstoff­schicht auf die Morphologie des unter Hochvakuum stabilen Tobermorits geht aus einem Vergleich der Bilder 18 und 19 hervor, die die gleiche Präparatstelle zeigen. Die Belastung der Kristalle während der Bedampfung führt dazu, daß die nur 10 nm dicken Kristallspitzen schrumpfen und sich an den Spitzen aufrollen und verbiegen. Ursache der Veränderung ist der Wasserentzug als Folge der Wärmestrahlung wäh­rend der Widerstandsbedampfung. Die Oberflächenspannung der Bedampfungs­schicht kann ebenfalls einen Einfluß haben. Durch die aufgedampfte ca. 30 nm dicke Kohlenstoffschicht erscheinen die Kristallspitzen nun als Sphäroide mit einem Durchmesser von ca. 130 nm. Bild 19 zeigt auch, daß die Struktur der Kohlenstoffbe­schichtung und nicht die Oberflächen­struktur des Präparats abgebildet wird. Durch Abschattungseffekte auf der stark strukturierten Probe ergeben sich auch unter­schiedliche Schichtdicken des aufgedampften Films. Wird das Präparat alternativ mit einer ca. 5 nm dicken Silberschicht besputtert, so zeigen sich im Prinzip die gleichen Effekte (Bild 20). Auch hier führt die Temperaturbelastung während des Sputterpro­zesses zu den genannten Morphologieänderungen. Da die erforderliche Schichtdicke auf Grund der besseren elektrischen Leitfähigkeit des Silbers gegenüber Kohlenstoff aber geringer sein kann, werden die Präparatstrukturen nicht ganz so stark über­deckt. Allerdings neigt die Silbersputterschicht zur Clusterbildung, die vor allem bei hochauflösender Abbildung sichtbar wird.

Die Wirkung höherer Temperatur auf die feinen Kristallspitzen kann man auch im Modus ESEM-WET direkt beobachten, wenn die Kristallspitzen mit dem Elektronen­strahl von > 1 nA Sondenstrom exponiert werden (gezielt induzierte Strahlenschädigung).

3.3. Dynamisches Verhalten von anorganischen Salzen im ESEM

In Abhängigkeit vom Substrat, der relativen Feuchte, der Temperatur und der Pro­zeßgeschwindigkeit läßt sich im Modus ESEM-WET die Dynamik von Lösungs- und Kristallisationsvorgängen, Hydratations-, Dehydratations- und Rehydratationspro­zessen sowie Umlage­rungs- und Umordnungsprozessen unter direkter elektronen­optischer Beobachtung aufzeichnen und dokumentieren.

Hydratationsvorgänge von Natrium-und Magnesiumsulfat infolge Temperatur- und Feuchteänderungen können in Baustoffen als Schadensauslöser ersten Ranges klassifiziert werden, da durch die Reaktion dieser Salze mit Wasser und die damit verbundene Volumenzunahme ein Hydratationsdruck aufgebaut wird.

Durch die Befeuchtung von Thenardit [Na2SO4], der wasserfreien Form des Natrium­sulfates, in der Wasserdampfatmosphäre des ESEM erfolgt die Phasenumwandelung zu Mirabilit [Na2SO4 · 10 H2O], der wasserhaltigen Form dieses Salzes. Es findet eine Umkristallisation und die Aufnahme von 10 Mol H2O in das Kristallgitter statt. Dies äußert sich im Aufwachsen von 2 bis 20 µm großen Glaubersalzkristallen (siehe Bild 21, die Kristallgröße und -form sind u.a. abhängig von der Prozeßführung) auf die feinteiligen Thenarditkristalle und dem Ansteigen der Intensität des Sauerstoff­peakes im EDX-Spektrum. Wird der Prozeß umgekehrt (Dehydratation) und der Um­wandlungspunkt erreicht, so verliert das Glaubersalz das gesamte in den Kristallen chemisch gebundene Wasser. Der Entwässerungsvorgang beginnt an den Korn­grenzen der Kristalle, die ihre Größe und Tracht ändern und unter Volumenabnahme wieder zu pulverförmigem, wasserfreien Thenardit zerfallen (vgl. Bild 21 mit 22). Anhand der quantitativen Elektronenstrahlmikroanalyse können die einzelnen Zu­stände ebenfalls mittels chemischer Zusammensetzung charakterisiert werden (vgl. EDX-Spektrum in Bild. 21 und 22).

Die Abbildung 23 zeigt die krustige Ausblühung von Epsomit [MgSO4 · 7 H2O] und das im Zentrum der Kristalle registrierte EDX-Spektrum. Bei einer relativen Feuchte von 90% bilden sich entlang der Korngrenzen der ca. 10 µm großen Kristalle Feuch­tigkeitsfilme aus, die im Bild dunkel erscheinen. Im Gegensatz zum Mirabilit, der am Umwandlungspunkt das gesamte Kristallwasser in einer Prozeßstufe angibt, wird beim Epsomit bei der Verringerung der Luftfeuchtigkeit im Probenraum eine stufen­weise Abgabe des Gitterwassers beobachtet. Bis zu einer relativen Feuchte von
7,5 % werden laut EDX-Analyse 3 — 5 Mol H20 abgegeben. Im Gefügebild ist eine deutli­che Rißbildung im Gefüge und eine Umkristallisation innerhalb der Kristalle zu ver­zeichnen (vgl. Bild. 23 und 24).

Am Beispiel von Halit [NaCl] kann der dynamische Vorgang der hygroskopischen Wasser­aufnahme sehr eindrucksvoll demonstriert werden. Die Abbildung 25 zeigt eine Aufkonzentrierung von 1 — 10 µm großen NaCl-Kristallen im Abschalungsbe­reich eines Ziegels (siehe auch Na- und Cl-Peak im EDX-Spektrum). Überschreitet man die Gleichgewichtsfeuchte, die für NaCl bei ca. 75 % rel. Feuchte liegt und im Bereich zwischen 0 und 40°C unabhängig von der Temperatur ist, so kondensieren Wassermoleküle auf die Salzkristalle auf. Dies führt, beginnend an den Korngrenzen, zur Auflösung des Ionengitters der Kristalle. Die entstehende Salzlösung wird vom Kapillarporensystem des Substrates (Mauerziegel) nahezu vollständig aufgenom­men, so daß in der Abbildung 26 und im EDX-Spektrum hauptsächlich das Gefüge bzw. die chemische Zusammensetzung des Ziegels zu sehen sind.

4. Schlußfolgerungen

Bei der Untersuchung wasserhaltiger Gefügebestandteile von Baustoffproben mit den herkömmlichen elektronenoptischen Verfahren ist stets zu beachten, daß sich die Präparate unter dem Einfluß des Vakuums und der Temperaturerhöhung als Folge der Bestrahlung verändern. Demgegenüber ermöglicht es die neue ESEM-Technologie in Verbindung mit einem hochauflösenden Rasterelektronenmikroskop mit Feldemissionskathode, derart empfindliche Proben im ursprünglichen Zustand bis in den Größenbereich einiger Nanometer elektronenoptisch zu beobachten.

Aufgabe der hier beschriebenen ersten Untersuchungen war es, einen Überblick über die Verwendbarkeit des ESEM-FEG in der Baustoff-Forschung zu erhalten. Da das Gerät auch als herkömmliches Hochvakuum-Rasterelektronenmikroskop betrie­ben werden kann, läßt sich dieselbe Präparatstelle unter den verschiedenen Be­triebsbedingungen optisch und chemisch untersuchen.

Fisher1 Fisher2 Fisher3 Fisher4Fisher5 

Die Möglichkeiten des ESEM-FEG wurden dazu genutzt, Objektveränderungen aufzuklären, die bei der Untersu­chung und Präparation von einigen charakteristischen Baustoffproben mit den tradi­tionellen Methoden entstehen. Dabei zeigte sich z. B., daß ein erheblicher Anteil der Risse in der Zementsteinmatrix des Betons erst beim Austrocknen der Probe im Hochvakuum des herkömmlichen Rasterelektronenmikroskops entsteht.

Außerdem geben Calciumsilicathydratphasen, die als Hauptbestandteile des Zementsteins bei der Hydratation von C3S und C2S entstehen, nicht nur im Hochvakuum des Raster­elektronenmikroskops einen Teil ihres Wassergehalts ab, sondern werden auch in­folge der Temperaturbelastung durch Wärme- und Elektronenstrahlung geschädigt.

Mit dem EDX-Analysensystem ist es möglich, anhand der Intensität der Sauerstoff-Strahlung Änderungen des Wassergehalts einzelner Bestandteile quantitativ zu be­stimmen. So ergab sich z.B., daß sich im Hochvakuum des Rasterelektronenmi­kroskops der Wassergehalt des Ettringits von 32 H2O auf 12 H2O vermindert.

 

Literatur

[1] Möser, B.:Betrachtung der frühen Hydratation von Klinkerphasen im ESEM-FEG, Int.Baustofftag., ibausil, Weimar (1997) Bd. 1, S. 1-0791-0811.
[2] Eckart, A., Stark, J.: Betrachtung der Hydratationsprodukte des Calciumalumi­nats und des Calciumferrits im ESEM-FEG, Int.Baustofftag., ibausil, Weimar (1997) Bd. 1, S. 1-0901-0919.
[3] Jennings, H. M.: Comment on the mechanism of C3S hydration, Advances in cement manufacture and use (ed. by E. Gartner), United Engineering Trustees Inc. (1989).
[4] Langenfeld, M., Stark, J.: Der Einfluß von Verzögerern auf die frühe Hydratation von Portlandzementklinkerphasen — dargestellt in einem ESEM-FEG, Thesis, Wiss. Z. der Bauhaus-Univ. Weimar (1998) Heft 1/2, S. 82-90.
[5] Shayan, A., Quick, G. W., Lancucki, C. J.: Morphological, mineralogical and chemical features of steam-cured concretes containing densified silica fume and various alkali levels, Adv. Cem. Res. 5 (1993) No. 20, pp. 151-162.
[6] Möser, B.: REM- und EDX-Untersuchungen an Betonen, Wiss. Z. der Bauhaus-Univ. Weimar 42 (1996) 4/5, S. 61-74.
[7] Ludwig, H.: Wasserbindung und Raumänderung von Zementstein, Diss. A, TU Clausthal (1985) S. 43 ff.
[8] Möser, B.: Anwendung der ESEM-Technologie in der Baustofforschung,  Thesis,Wiss. Z. der Bauhaus-Univ. Weimar (1998) Heft 1/2, S. 60-73.